15 März 2006


L'Ange Gardien
Früher einmal, als ich noch jung und voller Elan war, lebte ich in Paris. Das Leben war aufregend. Alle Nase lang passierten tolle Dinge. Man lernte jede Menge neuer Menschen kennen. Auch Polizisten. Also eigentlich nur einen, und von kennen lernen kann auch nicht wirklich die Rede sein. Aber der gute Monsieur de Angelo ist mir bis heute nicht aus dem Gedächtnis entschlüpft.
Die blondeKommilitonin war damals auch in Paris, um kleine französische Schüler mit deutscher Konversation zu nerven. Da die Dame einen gewissen Lebensanspruch hatte, war ihr Auto auch mitgekommen, was ich erst für ziemlich unsinnig, später aber, da sie mich nach Bar- und Kneipenbesuchen mitten in der Nacht in mein entlegenes Zimmerchen fuhr, immer mehr zu schätzen lernte.
Eines Tages, bevor die Kommilitonin in den Schulferien doch lieber mit dem Zug nach Deutschland fuhr, parkte sie in aller Eile und in Ermangelung anderer Optionen das Auto, die Schnautze ragte auf einen Zebrastreifen. Die Ferien waren schön, en Allemegne, man konnte endlich wieder ordentliches Brot essen und musste beim Weggehen nicht mehr so viel Geld ausgeben.
Nach ihrer Rückkehr suchte die Kommilitonin ihr Auto. Vergeblich. Es war einfach weg. Aufgeregt rief sie bei der Polizei an. "Avez-vous ma voiture?" Der Gendarme am Telefon behauptete, er müsste erst mal im Computer nachschauen. Und gab dann die schlechte Nachricht: "Non. Nous ne l'avons pas." Merde! Das Auto war also gestohlen worden und nicht abgeschleppt. Die Versicherung wurde gekündigt, der Papa informiert, der Ärger begann. Uns hinterte es trotzdem nicht daran weiterhin des Abends fröhlich auszugehen. ich übernachtete dann einfach bei ihr.
Doch erst mussten wir noch das Auto offiziell als gestohlen melden, also eine Anzeige aufgeben. Wir machten uns also gemeinsam auf den Weg zum Polizeipräsidium. An der unscheinbaren Tür ohne Schild gingen wir wohl drei Mal vorbei. Als wir die Tür endlich durchschritten hatten, stockte uns der Atem. Man fühlte sich wie auf dem Boden eines Schwimmbeckens, aus dem im Herbst das Wasser ausgelassen war. Kein Tageslicht, nur Neonröhren, alles gekachelt, kein Bild, kein Poster, nichts. Bonjour Tristesse.
Ein freundlicher Polizist wollte sich um uns kümmern. "Ange Guardien" stand auf einem Abzeichen auf dem Oberarm seines blauen Hemdes. "D'Angelo" war vorne draufgestickt. Sein Name. Wie passend, dachte ich noch und dann wusste ich nicht mehr, mit wem er sprach. Noch nie hatte ich jemanden so schielen gesehen. Mit einem Auge fixieret er die Kommilitonen, die ihm den Vorgang in ihrem blumigen Französisch schilderte, für das sie zuvor extra das Wörterbuch gewälzt hattte. das andere Auge war auf mich gerichtet. Zumindest bildete ich mir das ein.
Monsieur D'Angelo ging mit uns in ein etwa drei Quadratmeter großes Kämmerchen, um die Anzeige aufzunehmen. Auf einem kleinen Holztisch stand eine Schreibmaschine, die neben der alten meines Großvaters antiquiert wirkte. Vor dem Tisch ein Stuhl, daneben noch einer. Ich blieb stehen. D'Angelo hackte mit viel Kraftaufwand den langen Nachnamen der Kommilitonin und sämtliche erforderlichen Informationen in die Maschine. Es dauerte ewig. Kein Wunder bei der Schielerei. Später gingen wir einen Crêpe essen, lachten uns kaputt und trauerten um das geklaute Auto.
Diverse Tage später klingelte das Telefon der Kommilitonin. Die Polizei wollte mal nachfragen, wann und ob sie eigentlich irgendwann mal ihr vor Wochen abgeschlepptes Auto abholen wolle, der exklusive Poizeiparkplatz würde schließlich von Tag zu Tag teurer. Die Kommilitonin versuchte sich in einem französischen Wutanfall. Gewundert hat es uns trotzdem gar nicht, nach dem Erlebnis auf der Wache. Wir lösten das Auto kilometerweit hinter dem Boulevard Mac Donald (!) im 20. Arrondissement aus und hatten ab Dato wieder lustige Abende mit voiture. Die rund 30 Pariser Strafzettel, die im Handschuhfach gesammelt lagen, wurden jedenfalls nie bezahlt.

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