08 Juli 2006


Fremde Erinnerungen ans eigene Leben
Es ist Jahre her. 16 Jahre um genau zu sein. Es war ein aufregendes Jahr dieses 1990/91. Flügge werden nennt man das wohl. Die Schule hatte man hinter sich gelassen, die Freiheit lag vor einem. Ein Jahr alles selbst bestimmen können, niemandem Rechenschaft ablegen müssen. Irgendwie der Beginn des echten Lebens. Und das ausgerechnet in Paris.

Klar man musste ein bisschen arbeiten, Kinder beaufsichtigen, kleine Kindershirts und -hosen waschen, Nudeln kochen, Schokoladenstücke in Baguettestücke drücken, Spielsachen wegräumen und Kinder baden. Mit links machte man das. Viel wichtiger war der Rest des Lebens. Tagsüber im Französischunterricht andere Leute aus Norwegen, Schweden, Polen, den USA, den Bahamas und sonstwoher treffen, nachmittags mit denen im Jardin du Luxembourg Wein trinken und abends das Nachtleben erkundigen. Endlich nur das machen, was man selbst wollte. Das bedeutete auch, Besuch zu haben, zu fünft auf sieben Quadratmetern übernachten, ein Klo hinterm Perlenvorhang ertragen und ein nächtliches arabisches Sägewerk von Nachbar.

Andere Freundinnen machten das selbe in anderen Städten. Und weil Freunde ja damals alles waren, erfüllt man ihnen jeden Wunsch. Meine Freundin, die in Genf Au-Pair war, suchte eine Übernachtungsmöglichkeit für einen Au-Pair-Kollegen, der sich in Paris mal die Kunsthochschule ansehen wollte. Klar, kein Problem. Wenn du den kennst und der nett ist, klar kann der eine Woche zusammen mit mir in meinem sieben Quadratmeterzimmer mit Perlenvorhang-Klo übernachten.

Eines Tages stand er also vor meiner Tür im sechsten Stock, der Hamburger. Und hier fangen die unterschiedlichen Erinnerungen an. Er behauptet bis heute, er hätte mir damals einen Strauß Spaghetti mitgebracht, denn Blumen konnte er nicht finden. Ich kann ihm das nur glauben, denn in meiner Erinnerung ist da ein Loch. Wir scheinen uns sofort extrem gut verstanden zu haben. Es hatte gefunkt. So richtig. Es muss eine tolle Woche gewesen sein, auch wenn ich mich eigentlich an nichts erinnere. Wir waren an der Ecole des Beaux-Arts, lernten verrückte Künstler kennen, macht jede Menge Fotos. Es war traurig, als er wieder wegfuhr.

Kurze Zeit später hatte sich ein ehemaliger Schulfreund angekündigt. Ich holte ihn von der Gare de l'Est ab. Er kam mit Verspätung, wir gingen gleich noch was trinken. Als wir mitten in der Nacht endlich nach Hause kamen, lag dieser Hamburger in meinem Bett. Durch das Dachfenster des angrenzenden Etagenstehklos war er übers Dach, entlang der Dachrinne, durch mein Fenster, in mein Zimmer eingestiegen. Ich war schwer beeindruckt. Und ein paar weitere verliebte schöne Tage folgten.

Danach fuhr ich nach Genf. Die komische Zeit begann. In Genf nämlich litt eine Freundin meiner Freundin an Liebeskummer wegen diesem Hamburger. Und unter Freundinnen ist man schließlich solidarisch. Die Freundinnen waren jedenfalls der Meinung, dass der Hamburger sich seiner Ex-Affaire gegenüber nicht sonderlich korrekt verhalten hätte und dass sie außerdem gar nicht wirklich eine Ex-Affaire sei. Ich saß zwischen den Stühlen. Im Au-Pair-Zimmer des Hamburgers musste ich mich verstecken, denn Besuch zu haben, war ihm verboten. Im Café mit den Freundinnen wurde meine frische Liebe durch Gespräche und Geschichten zerstört.

Alle zusammen fuhren wir in einem alten VW-Bus nach Paris in mein Zimmer. Es war lustig, aber es war nicht mehr dasselbe. Es folgten ein paar enttäuschte Briefe voller Vorwürfe und schließlich verlor man sich aus den Augen. Vergessen hat man sich nie.

16 Jahre später treffe ich den Hamburger wieder. Mittlerweile ist er Australier geworden und Grafiker und Hobbyfotograf. Man ist sich sofort wieder sympathisch. Eigentlich ist es wie damals. Und nach dem dritten Glas Rotwein beginnt man die Ursachen zu klären. Warum hat das damals eigentlich nicht geklappt mit uns? Was war passiert?

-Du hattest doch eigentlich noch eine andere in Genf. Da hatte ich keine Lust drauf.
-Aber das war doch schon ganz lange zu Ende. ich wollte nichts von der, die war total anstrengend. Ich wollte nur dich.
-Das habe ich so nicht verstanden. Vielleicht hast du es nicht klar genug gemacht. Du saßt ja auch oft mit dieser anderen rum, vielleicht nur, um sie zu trösten, aber ich konnte das damals nicht akzeptieren und nicht verstehen.
-Ja vielleicht war ich einfach zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Und als klar war, dass du sowieso aus Paris weggehst, hatte ich da auch keinen Sinn mehr drin gesehen.

Jugend? Dummheit? Naivität? Haben wir uns um eine tolle Beziehung gebracht damals? Oder ist uns beiden der jeweils andere nur deshalb immer im Gedächtnis gebieben, weil eben nicht mehr daraus wurde?
Wir haben zwei Monate Zeit das herauszufinden, bevor jeder wieder in sein heutiges Leben zurückkehrt.

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